Wir wollen uns neu erfinden, um sorbische Potenziale im Strukturwandel auszuschöpfen
Liebe Delegierte, sehr geehrte Gäste,
der abstrakte Begriff Strukturwandel ist im Volk entweder suspekt oder verrufen: Nach der Wende wurden unter diesem Motto Zehntausende Arbeitsplätze in der Industrie abgeschafft, die Folgen für die Gesellschaft sind bekannt – Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung der Jugend, auch zahlreicher junger Sorbinnen und Sorben.
Marko Suchy, Vorsitzender des Rates für sorbische Angelegenheiten Sachsen, hat im vergangenen Jahr in einem Gastbeitrag für die Lausitzer Rundschau auf die noch ältere Geschichte dieses Mottos “Strukturwandel” hingewiesen. Mit der Industrialisierung vor 150 Jahren haben die Braunkohletagebaue, Kraftwerke und große Fabriken verschiedener Branchen in unserer Heimat Einzug gehalten. Die Eisenbahn hat nicht nur neuen Waren ihren Weg in die entferntesten Winkel gebahnt, sondern auch Arbeitskräfte in großer Zahl in die Lausitz gebracht. Zu Beginn dieses Strukturwandels gab es ca. 200.000 sorbischsprechende Menschen in der Lausitz, die die Bevölkerungsmehrheit stellten. Jetzt, am Anfang der Ära, in der neue Strukturen in der Lausitz geschaffen werden sollen, sind wir Sorben im Vergleich zu der damaligen Zeit nur noch ein kleines Häuflein Leute, und unsere Muttersprache wird als Minderheitensprache bezeichnet.
Erster Strukturwandel, der das Sorbische wieder voranbringt
Zugleich aber erleben wir erstmals in der Geschichte unseres Volkes, dass unsere sorbischen Traditionen, unsere Sprache und Kultur in immer mehr offiziellen Dokumenten als Einzigartigkeit erscheinen und als Alleinstellungsmerkmal für die Entwicklung der gesamten Region anerkannt werden. Seit dem vergangenen Jahr wird das sorbische Volk sogar in einem Bundesgesetz ausdrücklich erwähnt – im Strukturstärkungsgesetz für die bisherigen Braunkohlereviere. Es ist das erste Mal, dass wir von Deutschland als förderwürdiges Gut der Lausitz anerkannt werden.
Inzwischen ist klar, dass das nicht nur Worthülsen sind, denn daraus ergibt sich eine zusätzliche gezielte Förderung für die Zeit des Braunkohleausstiegs. Parallel haben wir – als Gemeinschaft der gewählten Vertreter des sorbischen Volkes – eine historische Aufstockung der Finanzausstattung der Stiftung für das sorbische Volk erzielt: Uns steht gut ein Viertel der Mittel mehr für die Pflege unserer Kulturautonomie zur Verfügung. Nach Jahrzehnten der Kürzungen stellt das eine Wende im Umgang mit uns Sorben dar.
Sehr geehrte Damen und Herren,
dieser historische Erfolg ist kein Gnadenakt der Obrigkeit für die königstreuen Sorben, um ein altes Vorurteil zu zitieren. Im Gegenteil: Die Zeit der kleinen Königreiche bei den Sorben haben wir überwunden. Wir ziehen mit allen zuständigen sorbischen Gremien seit nunmehr vier Jahren an einem Strang. Wir haben uns untereinander abgestimmt, selbstbewusst gehandelt und damit den Respekt der politischen Partner geerntet. Die beiden Sorben-Räte in Brandenburg und Sachsen, die Stiftungsratsmitglieder, Mitglieder des Parlamentarischen Beirates der Stiftung und der Domowina-Bundesvorstand haben eine Einheit im Handeln gebildet. Das hat sich zum Wohle des sorbischen Volkes bezahlt gemacht!
Domowina will dienen – mit basisdemokratisch legitimiertem Mandat
Unsere Aufgabe als Domowina ist nicht zu herrschen, sondern dienen. Ja, wir haben als gesetzlich anerkannte Sprecherin für die Interessen des sorbischen Volkes ein politisches Mandat. Dieses Mandat ist basisdemokratisch legitimiert: In dieser Halle wird heute niemand abstimmen, weil ihm irgendeine sorbische oder deutsche Obrigkeit dieses Recht verliehen hat. Sie alle hat die Basis der aktiven sorbischen Zivilgesellschaft gewählt. Und somit können wir sagen: Wir repräsentieren das sorbische Volk – wir sind das sorbische Volk!
Und deshalb müssen wir uns heute fragen: Was müssen wir tun, damit unser Volk aus diesem dritten Strukturwandel im Laufe der jüngsten Geschichte wieder wächst? Was müssen wir jetzt leisten, damit 2050 wieder mehr Sorbinnen und Sorben in der Lausitz leben als heute?
Sehr geehrte Anwesende,
unsere Sprache ist das markanteste Merkmal unserer Existenz, unsere sorbischen Sprachen sind der wesentlichste Ausdruck der sozialen Identität des sorbischen Volkes. Demzufolge sind die Sprachräume der wichtigste Indikator für das Sein und Werden der Sorben.
Gutes Zeichen: Sprach-Revitalisierung unter geförderten Strukturwandel-Projekten
Deshalb können wir junge Initiativen aus dem Volk nicht genug loben, wie “Zorja” (Morgenröte) in der Niederlausitz. Maksimilian Hasacki, Gregor Kliem und Charlotte Kuschka haben die Grundkonzeption entwickelt, wie junge Mneschen im Laufe eines Jahres so Sorbisch lernen können, dass sie befähigt sind, die Sprache ihren Kindern zu vermitteln.
Ich selbst war provilegiert. Ich durfte in einem rein sorbischen Millieu aufwachsen, wo die Sprache das Fundament des gesamten Lebens war und ist. Natürlich müssen auch wir jeden Tag etwas dafür tun. Zum Beispiel uns um ein gutes Sorbisch zu bemühen und in den Soblex zu schauen, wenn einem das sorbische Wort fehlt. Ich habe großen Respekt vor allen, die neue sorbische Inseln mit Sprach-Leuchttürmen aufgebaut haben, wie Gabriela Linack und Brigitte Schramm in Hoyerswerda / Wojerecy.
Und deshalb ist es ein gutes Zeichen, dass ein Projekt wie „Zorja“ auf der Liste der Maßnahmen steht, die im Rahmen des Strukturwandels aus Fördermitteln besonders unterstützt werden.
Das Sorbische ist als Alleinstellungsmerkmal der Lausitz anerkannt
Zurück zu dem Beitrag in der „Lausitzer Rundschau”. Marko Suchy unterscheidet zwei Typen des Strukturwandels: von außen aufgebrummte Änderungen und Änderungen, die wir von uns aus realisieren können. Vor 150 Jahren konnte niemand die Industrialisierung verhindern, und kein Bewohner der Lausitz sah sich nach dem politischen Wandel 1989/90 im Stande, bestimmten wirtschaftlichen Prozessen zu entgehen. Was uns Sorben anbelangt, ist das heute strukturell anders: Das Sorbische ist, wie gesagt, als Alleinstellungsmerkmal der Lausitz anerkannt. Erst kürzlich hat der gesamte Landtag in Potsdam die Mehrsprachigkeit als Perspektive des Landes beschlossen. In der offiziellen Kulturstrategie für die Lausitz, die ein Ergebnis der Zukunftswerkstatt Lausitz mit Akteuren aus Sachsen und Brandenburg ist, heißt es unmissverständlich: Wir Sorben sind vorbildhafte Träger des Mehrsprachigkeitsmodells. Wir sind Brückenbauer zwischen Brandenburg und Sachsen, Deutschland Polen und Tschechien und zu anderen Slawen, unter verschiedenen Menschen in der ganzen Lausitz, in Europa, ja bis nach Texas und Australien.
Jetzt aber sind wir zum ersten Mal in unserer Geschichte mit dem Phänomen konfrontiert: Uns stehen tendenziell mehr Mittel zur Verfügung als Leute. Wir haben zunehmend Schwierigkeiten, die sorbischen Arbeitsplätze zu besetzen. Wenn wir diesen Strukturwandel aktiv im Griff haben wollen und unseren Vorstellungen nach suverän selbst bestimmen wollen, dann müssen wir uns bewusster mit dem Thema Bildung befassen.
Die Kulturautonomie haben wir schon lange, nämlich in Form der Stiftung für das sorbische Volk. Die sorbischen Stiftungsratsmitglieder, die von uns gewählt werden, entscheiden in Kooperation mit den Stiftungsmitarbeitern – und sie alle sind Sorben – auf der Grundlage von abgestimmten Prioritäten inhaltlich, was wie gefördert werden soll. Es gibt keine kulturelle Aktivität bei den Sorben, die aus diesem System ausgeschlossen ist. Der größte Missstand im Moment ist der, dass das Bildungssystem, salopp gesagt, nicht genug Nachwuchs für unser Kultur- und Sprachsystem produziert. Es ist dringend notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, welche Strukturen – vielleicht auch Strukturen der Selbstverwaltung – wir uns aufbauen sollten, um ausreichend Nachwuchs als Sprachträger für die Entwicklung der Sprache und Kultur zu erhalten.
Bildungsautonomie nach dem Vorbild der sorbischen Kulturautonomie?
Insbesondere die Frage des Lehrernachwuchses ist eine heiß dsikutierte Angelegenheit, die uns weiter beschäftigen wird. Noch wichtiger ist aus meiner Sicht aber die Frage, die in der letzten Hauptversammlung unser Altvorsitzender Jan Nuck angestoßen und als Antrag eingereicht hat, den wir dann beschlossen haben: der Bund sorbischer Schulen. Das heißt: ein sorbisches Schulsystem in der Ober-, Mittel- und Niederlausitz als ein Netz von Schulen, in denen unsere Sprache an erster Stelle steht. Mit aller Freiheit für die sorbischen kulturellen und lokalen Besonderheiten. Aber mit dem klaren Anspruch, dass die Absolventen dieser Bildungseinrichtungen in der Lage sind, mündlich wie schriftlich fließend Sorbisch/Wendisch zu kommunizieren. Wie das zu regeln ist – im Rahmen der bestehenden Rechte oder anders, zum Beispiel vielleicht im Sinne von Bildungsautonomie –, darüber lohnt es sich neu zu debattieren.
In diesem Jahr begehen wir den 20. Jahrestag des Crostwitzer Schulaufstands. Dieser steht bis heute symbolhaft für den Kampf um die Bewahrung und Entwicklung des sorbischen Schulwesens. Wir können es uns nicht erlauben, weitere zwanzig Jahre – einmal mehr, einmal weniger intensiv – über Schulfragen zu diskutieren. Wir müssen uns mit der Angelegenheit insgesamt beschäftigen. Dazu gehört auch die Frage der Trägerschaft, wenn sie Vorteile für alle bringt. Die Bildungsautonomie kann auch in Form einer weiteren Stiftung eingerichtet werden – ähnlich wie die Kulturautonomie, aber nur zusammen mit der Basis. Ich persönlich favorisiere derzeit kein Modell, bin aber der festen Überzeugung, liebe Delegierte:
Unser Problem sind nicht irgendwelche fehlende Rechte. Unser Problem ist auch nicht, dass wir zu wenig tun oder keine neuen Ideen haben. Die Delegiertenmappe mit einem Umfang von 300 Seiten zeugt mit ihren Berichten und Plänen von den regen Aktivitäten unserer ehren- und hauptamtlichen Mitstreiter. Unser Problem ist auch nicht fehlende Akzeptanz. In den beiden Bundesländern des sorbischen Siedlungsgebietes sind wir mit beratender Stimme in den Schulkonferenzen an den Schulen mit Sorbisch-Unterricht vertreten. Die Gleichwertigkeit der sorbischen Sprache im öffentlichen Raum sehen wir immer mehr an Wegweisern und Schildern in und an Behörden. In drei Duzent externen öffentlichen Gremien reden wir im Namen des sorbischen Volkes mit. Das Niveau der heutigen Rechte und Poptenziale wäre für Generationen früher nicht vorstellbar. Und gerade deshalb ist es unsere Pflicht, ohne irgendwelche Tabus zu fragen: Schöpfen wir das Potenzial, das wir heute haben, auch aus?
Transparenz-Zuwachs durch Livestream-Sitzungen auch nach Pandemie bewahren
Aber zurück zum Heute. Auch unsere Arbeit hat Corona verändert. Wir haben die Herausforderungen von knapp eineinhalb Jahren Pandemie ziemlich gut gemeistert. So viel Digitalisierung hat es auch bei den Sorben nie gegeben, und auch nach der Pandemie ließen sich Beratungen hin und wieder – soweit als möglich und sinnvoll – online durchführen, um den Leuten weite Wege zu ersparen. Und dass man an den öffentlichen Beratungen des Bundesvorstands inzwischen auch per youtube-Livestream teilnehmen kann, ist im Sinne von Transparenz zweifellos ein Fortschritt, den wir für die Zukunft unabhängig von den aktuellen Gegebenheiten beibehalten sollten.
Natürlich möchten wir in allen Regionen der Lausitz wieder “sorbische Abende” abhalten. Sie sind allerorts auf gute Resonanz gestoßen und haben dem unmittelbaren Austausch gedient: Auf der einen Seite konnten wir als Domowina, aber auch die Stiftung und Sorben-Räte ganz praktisch erfahren, wo welche Unterstützung an der Basis benötigt wird. Auf der anderen Seite haben wir selbstkritisch zur Kenntnis genommen, wo es noch hapert.
Marka Ziesch hat in ihrer letzten Sitzung als Mitglied des Domowina-Bundesvorstandes allen dafür gedankt, dass sie viele Jahre in diesem Spitzengremium der Domowina einen Sprachraum erlebt hat, der lebendig ist. Ihnen und allen bisherigen Bundesvorstandsmitgliedern, die nicht mehr antreten oder die wieder kandidieren, sei für ihre stetige Mitarbeit an der Spitze unserer sorbischen Organisation, herzlich gedankt! Sie haben die Arbeit der Domowina – vielfach über viele Jahre – nicht nur mit geprägt, sondern haben den Vorsitzenden und die Geschäftsstelle auch ordentlich beaufsichtigt. Freundlich, aber kritisch, wie es bei uns Sorben Sitte ist. Als Abgesandte der Regionalverbände und überregionalen Vereine haben sie die sorbische Basisdemokratie verwirklicht.
Aber es gibt es andere Videos von Online-Sitzungen. Letzte Woche erfuhren wir von einem Video, das Einblicke in eine Sitzung oder Sitzungen der Gruppe “Serbski sejm” gibt. Ehrlich gesagt: Ich bin schockiert. Für solche Ausdrucksweisen und Aussagen fehlen mir die Worte. Zur politischen Debatte gehört eine gewisse Kultur des Respektes. Wie soll der Dialog aussehen, wenn sie der Domowina vorwerfen, eine terroristische Organisation zu sein oder wie der Volkskongress in China zu arbeiten? Ganz abgesehen von der Diffamierung von Personen. So etwas haben wir nach meinem Kenntnisstand bisher unter Sorben noch nie erlebt. Vor allem erschütternd ist, wie “Sejm”-Akteure die Arbeit von 200 Verbänden, Vereinen und Gruppen, von 7.500 Mitgliedern und die Arbeit von 70 Angestellten der Domowina in den Dreck ziehen. Als Vorsitzender verurteile ich das. Und ich stelle mich vor die Menschen in der Domowina und sage klar: So nicht! Und ich füge hinzu: Es ist eine Schande, dass sie bis heute kein Wort der Entschuldigung gefunden haben. Aber zurück zu unseren Themen.
Dank an Amtsvorgänger Jan Nuck: Gesicht von unerschütterlichem sorbischem Selbstbewusstsein
Sehr geehrte Anwesende,
Erlauben Sie mir ein ganz persönliches Wort an meinen langjährigen Amtsvorgänger, unseren Altvorsitzenden Jan Nuck. Du bist immer nach vorn geprescht und pflegtest uns anzufeuern, auch mich, Deinen jungen Nachfolger. Mit den Ergebnissen warst du nicht immer zufrieden, oder sagen wir so: Unser Jan Nuck wäre nicht Jan Nuck, wenn er mit der sorbischen Politik, die die Sorben selbst machen, einfach zufrieden wäre. Für dich erreichen alle Bestrebungen im besten Fall eine tolerierbare Zwischenstufe, aber dann muss es weiter gehen.
Keiner kann sich die Zeit, in der er wirkt, ausuchen. Jan Nuck hat als wohlgemerkt ehrenamtlicher Vorsitzender unserem Volk in einer schwiergen Zeit mit fast übermenschlichem Engagement das Gesicht von unerschütterlichem Selbstbewusstsein gegeben, als wir mit Mittelkürzungen und Schulschließungen konfrontiert waren. Die Bedingungen heute sind völlig andere. Wenn es aber darum geht, dass wir die großen Potenziale unserer jetzigen Zeit für einen neuen Aufschwung des Sorbischen wirklich auschöpfen, dann müssen wir die Domowina sozusagen neu erfinden. Ich möchte mich hier auf die wichtigsten Punkte konzentrieren, die ich dafür sehe:
Wir brauchen Parität von Nieder- und Oberlausitz und Vielfalt verschiedener Milieus
Der Niederlausitz gehört nicht nur die Hälfte des sorbischen Himmels, sondern auch unseres irdischen sorbischen Seins. Wir brauchen die Parität bei den Sorben und die lebendige Vielfalt verschiedener sorbischer Milieus auf allen Ebenen unserer Organisation und des sorbisch-/wendischsprachigen Lebens insgesamt. Cottbus / Chóśebuz ist keine Zweigstelle der Bautzener Geschäftstelle, sondern die Domowina ist eine Organisation für die ganze Lausitz mit gleichwertigen regionalen Standorten. So lange aber bei uns die Rede von einer “Minderheit innerhalb der Minderheit” ist, stimmt etwas nicht. Seit dem vergangenen Jahr ist der Landkreis Dahme-Spreewald / Dubja-Błota Domowina-Fördermitglied. Unser Territorium erstreckt sich vom Lausitzer Bergland bis unterhalb von und nach Berlin. Darauf müssen wir in der Wahlperiode bis 2025 das Wirken der Domowina ausrichten und die Regionalisierung unserer Arbeit fortsetzen.
Als Domowina haben wir historisch gewachsene starke Seiten, die wir gerade jetzt in Zeiten des Wandels in der Energieproduktion entwickeln werden. So können wir die Kräfte unseres sorbischen Volkes stärken und seine Potenziale wirksamer ausschöpfen.
Kommunale Verantwortliche von Anfang an als Partner einbeziehen
- Die Basisdemokratie ist unsere Stärke: Bei uns regeln lokale und regionale Verbände die Angelegenheiten ihers Alltags souverän, keine Zentrale diktiert ihnen etwas. Gerade deshalb bitte ich aber darum, die innere Demokratie sehr ernst zu nehmen und die Teilhabe aller Mitglieder zu garantieren. Gerade Abläufe in Verbindung mit Wahlen müssen für jedes Mitglied transparent und zugänglich sein.
- Die Freiheit der Vereine ist unsere Stärke: Unser sorbisches gesellschaftliches Leben ist unabhängig von einer staatlichen Aufsicht. Das ist auch ein großer Fortschritt gegenüber der DDR-Zeit. Natürlich ließe sich ungeachtet dessen darüber diskutieren, ob wir nicht doch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein wollen. Wenn ich aber auf öffentlich so mächtige Vereine wie Greenpeace oder ADAC schaue, die ja auch keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, so habe ich den Eindruck, dass zuviel über abstrakte Fragen der Vertretung und zu wenig über die konkrete Umsetzung sorbischer Interessen gesprochen wird.
- Die sorbischen Frauen mit ihrem besonderen Selbstbewusstsein sind unsere Stärke. Sie stellen tatsächlich die bessere Hälfte der Bevölkerung. Deshalb wird gern vom sorbischen Matriarchat gesprochen. Dem entspricht die Zusammensetzung der Kandidaturen für den Bundesvorstand nicht. Wir müssen uns schnellstmöglich innerhalb des Dachverbandes gemeinsam mit unserern Mitgliedsverbänden darauf verständigen, wie unsere sorbischen Gremien attraktiver werden können vor allem auch für junge Frauen, die man derzeit auf den Listen kaum sehen kann.
- Unsere Stärke ist die Verankerung des sorbischen Lebens in den Kommunen, wir sind dort am stärksten präsent, wo die Menschen leben. Das trifft aber leider nicht für unser Verhältnis zu den Kommunalpolitikern zu, egal ob sorbischen oder deutschen. Hier herrscht vielmehr das Prinzip, dass wir uns zuerst in Ruhe untereinander einigen und dann heißt es: Und jetzt müssen wir noch mit den Kommunen sprechen. Wir brauchen neue Formen, um die kommunalen Verantwortlichen von Anfang an als Partner einzubeziehen. Weil die kommunalen Angelegenheiten kein Anhängsel der sorbischen und die sorbischen Angelegenheiten kein Anhängsel der kommunalen sind. Beide sind in der Lausitz im Interesse der gesamten Bevölkerung miteinander verwoben.
- Unsere Stärke ist der direkte Dialog. Bei uns ist der Austausch ohne Umwege möglich. Wenn aber ehrenamtliche Gremiumsmitglieder vor einer Beratung zuerst Riesenstapel Papier und eine Unmenge an Drucksachen durchackern müssen, ist das für potenzielle Interessenten abschreckend. Weniger Bürokratie und mehr Diskussion über Wesentliches – das sei das Motto für die künftige Arbeit des Bundesvorstands!
- Unsere Stärke ist die Digitalisierung. Dank sorbischen IT-Experten konnten wir sie während der Pandemie vor allem im kulturellen und Bildungsbereich weiter ausweiten. Kürzlich gedachten wir des 100. Geburtstages von Mikławš Joachim Wićaz, des sorbischen Erfinders des neuzeitlichen Tisch-Computers, des PC. Jetzt werden wir unsere IT-Potenziale für die bessere Integration der Sorben ausßrehalb der Lausitz nutzen.
- Die Einheit von lebendiger Tradition und innovativer Zukunft ist unsere Stärke. Wir haben mit unserem Programm 2025 “Verbundenheit – Offenheit – Verantwortung” gute Meilensteine gesetzt. Jetzt müssen wir darübber nachdenken, wie es weiter geht. Viele Inhalte bleiben weiterhin aktuell. Aber ein Update ist notwendig. In den Enpfehlungen für die Satzungsänderungen, über die wir heute entscheiden werden, wird die Mitgliedschaft von Einzelpersonen als weiterer Stützpfeiler unserer aktiven Basis explizit genannt. Das entspricht der gesellschaftlichen Realität, dass immer mehr Menschen auch außerhalb von Vereinsstrukturen engagieren. Ihr Potenzial müssen wir für die Sorben noch mehr nutzen. Und das muss sich zukünftig auch atärker in unserer Programmatik wiederspiegeln.
Liebe Delegierte, wir sind nicht deshalb Sorben, weil wir uns für unser Erbe opfern wollen. Wir sind Sorben, weil wir als Sorben das schönere Leben haben. Wir können besser feiern, wir können uns besser miteinander unterhalten, wir können vielleicht auch besser lieben – und offensichtlich auch besser zusammenarbeiten. Sonst wären wir nicht 50 Generationen ohne Schutz durch einen eigenen Staat lebendig geblieben und würden wir nicht bis heute existieren. Auf die nächsten 50 Generationen – los geht’s!